Erfolgsgeschichte eines jungen Mannes aus dem Raum Köln (ME/CFS)
Einer der Gründe, warum ich diesen Blog begonnen habe, lag darin, meine Geschichte für mich selbst noch einmal abzuarbeiten. Ein anderer Grund, oder vielmehr ein Bedürfnis liegt darin, anderen CFS-Erkrankten, denen es jetzt so geht wie mir damals, meine Geschichte zu erzählen, und ihnen die Möglichkeit zu geben, eventuell Versuche in eine ähnliche Richtung einmal auszuprobieren. In der letzten Zeit habe ich mehr Menschen kennengelernt, die an CFS leiden, als während meiner Krankheitszeit. Unfassbar viel Leid, ohne Schuld. Unzählige brutale Ärzte, Psychiater, die nicht auf CFS-Patienten eingehen…
Es muss sich einfach endlich etwas ändern! Das hatte ich mir schon während meiner Krankheit 2005 – 2009 immer wieder einsam vor mich hingesagt. Jetzt habe ich das Gefühl nach meiner Genesung evtl. dazu beitragen zu können.
Es ist 2012 und die Lage scheint mir zu 2005 fast unverändert zu sein, obwohl damals immer wieder zu hören war: „In ein paar Jahren ist die Forschung so weit.“ Wenn ich das heute höre, könnte ich kotzen! Auch wenn viele, viele engagierte ehrliche Menschen (vor allem in den USA) forschen und sich für CFS-Erkrankte einsetzen…diese Arbeit will ich hier auf gar keinen Fall angreifen!
Hier also die Fortsetzung von dem, was ich erlebt habe:
[…Ärztehopping gekürzt…]
Ich sitze im Wartezimmer des Hämatologen. Mir ist extrem übel und schwindelig, meine Umwelt sehe ich verschwommen und das Bild zittert. Wahrscheinlich hat mein durch CFS angegriffenes Nervensystem sehr empfindlich auf den Treppensprung reagiert und ich schleppe jetzt auch noch eine Gehirnerschütterung mit mir herum.
Die Wartezeit zieht sich. Mir geht es schlechter denn je und ich habe schon eine gewisse Vorahnung, dass mir ein besonders unangenehmer Arztbesuch bevorsteht. Im Wartezimmer sehe ich einige andere traurig und krank wirkende Patienten. Ich frage mich still, ob sie Krebs haben, wie sehr sie leiden…und kann mir kaum vorstellen, dass es ihnen in diesem Moment schlechter gehen kann als mir.
Nach langem Warten werde ich endlich zum Arzt reingerufen. Er ist mir auf den ersten Blick direkt unsympathisch. Überheblicher Gesichtsausdruck, großer Schreibtisch, große Brille, klein und korpulent. Er fragt mich, warum ich hier bin. Ich sage, dass ich CFS habe und welche Blutuntersuchungen ich gerne machen würde.
„Davon machen wir keine!“ ruft er mir direkt entgegen und unterbricht mich damit.
Ich schaue ihn entgeistert an. „Nein? Warum nicht?“
„CFS ist zu 80% psychosomatisch“, meint er. „Ich habe mich schon in meinem Studium viel damit beschäftigt.“ Sein Studium ist Jahrzehnte her, denke ich mir still.
„Zu viele ärztliche Untersuchungen machen das ganze nur schlimmer“, fährt er fort. „Wie viele Untersuchungen haben Sie gemacht? Konnte Ihnen dadurch irgendwie geholfen werden?“
Ich versuche ihm die zahlreichen abweichenden Werte aufzulisten, die sich nach Jahren unendlicher Blutuntersuchungen angesammelt hatten.
„Als Hämatologe kann ich Ihnen sagen, dass man sowas immer findet. Es weicht immer irgendetwas ab.“
Das bei mir alles in Richtung eines aktivierten Immunsystems deutet, denke ich mir wieder nur und beobachte den Arzt, wie er plötzlich aufsteht und auf mich zu kommt.
„Kommen Sie bitte mit…“
Ich folge ihm, er führt mich in einen Untersuchungsraum. „Wahrscheinlich darf er mich trotzdem nicht un-untersucht gehen lassen“, denke ich mir. Er macht eine kurze Grunduntersuchung, hört mich ab, schaut etwas mittels Ultraschall nach…Reflexe…
„Alles in Ordnung“, meint er.
Wieder schaue ich ihn entgeistert an… „Nichts ist in Ordnung“, denke ich mir. Mit ihm zu kämpfen…das hatte ich schon einige Ärzte vor ihm aufgegeben. So schlecht wie es mir geht und dann ein „alles in Ordnung“ zu hören. Das typische zusätzliche Leiden, das CFS-Patienten ertragen müssen…zusätzlich zu den Symptomen, die für sich mit Abstand schon schlimm genug sind.
Wieder an seinem Schreibtisch angekommen, wiederholt er sich: „Alles in Ordnung. Und nun???“
Er schaut mich leicht amüsiert an und erwartet eine Antwort von mir…
„Und nun…“
verzweifelt schaue ich mich um, was soll ich darauf antworten…resigniert und ohne große Lust, dass der Arztbesuch mal wieder in einer Szene endet. Außerdem viel zu schwach und elend, um zu streiten.
„…was schlagen Sie vor??“ frage ich und versuche seinem amüsierten Lächeln zumindest etwas Contra zu geben.
Diese Antwort scheint er so nicht erwartet zu haben. Er lehnt sich zurück und wirkt nachdenklich. „Naja“, meint er,“ es gibt da einen Arzt für Psychosomatik, den ich sehr schätze. Den würde ich Ihnen empfehlen.“
Ich erwidere, dass ich nicht glaube, dass es bei mir psychosomatisch sein kann. „Ich bilde mir mein Leid doch nicht ein.“ Der Arzt antwortet darauf nicht, er lächelt wieder leicht.
Ich erkläre ihm noch einmal sachlich, dass in letzter Zeit sehr viel über CFS geforscht und entdeckt wurde. Dass es ganze Forschungseinrichtungen in den USA gibt, die aus dem Boden schießen und dass er diesbezüglich möglicherweise nicht mehr auf dem neuesten Stand ist.
Jetzt schaut er zwar leicht irritiert, bekräftigt dann aber doch unbeirrt seine Empfehlung.
Resigniert stimme ich zu: „Gut, von mir aus gehe ich mal dorthin. Schaden kann es ja nicht.“ Ich nicke dem am unverschämtesten wirkenden Arzt, den ich seit langem getroffen hatte, zu.
Er greift zum Hörer und macht mir persönlich einen Termin bei dem Arzt, den er mir empfohlen hat. „Sie bekommen dann einen Brief mit dem Termin.“ „Einen Brief?“ frage ich irritiert. „Ich habe noch nie eine Terminbestätigung per Post von einem Arzt bekommen.“
„Tja, Psychologen…“, er lacht leicht abschätzig…
Einige Tage später hatte ich tatsächlich einen Brief mit dem Termin im Briefkasten. Die nächsten 2 Wochen bis zu dem Termin quälte ich mich zusätzlich zu meinem CFS mit den Folgen der Gehirnerschütterung herum. Am Tag des Termins ging es mir am Morgen weiterhin so extrem schlecht, dass ich den 8-Uhr-Termin absagen wollte…ich griff zum Hörer…Anrufbeantworter! Noch niemand da in der Praxis!
Ich überlege kurz und kämpfe mit mir. Mir ist irgendwie plötzlich alles egal. Ich fahre einfach los, setze mich in die U-Bahn. Wenn ich umkippe, dann ist es eben so…
„Mir doch egal, alles…“
Nach einer U-Bahn-Fahrt, auf der ich tatsächlich mehrmals das Gefühl hatte kurz vor einer Ohnmacht zu stehen, komme ich doch an der Uniklinik an…
Ich setze mich in den vollkommen leeren Wartebereich. Alles dreht sich in meinem Kopf.
Ich soll einen Fragebogen ausfüllen…mit Mühe und Not kann ich den Stift halten.
Hiernach und nach einigen Minuten Wartezeit empfängt mich der Arzt für psychosomatische Medizin und Leiter des Instituts…er wirkt zu meiner Überraschung eher freundlich und nicht unsympathisch.
„Heute geht es zunächst darum festzustellen, ob sie mit ihrer Erkrankung hier richtig sind.“
Ich berichte ihm ausführlich vom Krankheitsverlauf, von allen Symptomen. So resigniert, wie ich bin, erzähle ich dabei offen und ehrlich alles was mir durch den Kopf geht…
kritisiere die Ärzte scharf, betone, dass ich überzeugt bin, mir nichts davon einzubilden…im Sinne von „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“
Er nickt, schaut mich authentisch verständnisvoll an.
„Zuerst kann man festhalten, dass ihre Erkrankung zu unserem Aufgabengebiet passt.“ Ich denke kurz daran, dass der unverschämte Arzt, der mich hierhin geschickt hatte, mir ins Wort gefallen war, als ich CFS als Erkrankung bezeichnet hatte („Sie sind gesund!“).
„Ihre Erkrankung könnte psychosomatisch zu sein. Allerdings wird Psychosomatik meist komplett missverstanden,“ fügt er direkt hinzu. „Sie sind weder Simulant noch Hypochonder, sie bilden sich nichts ein…alle Symptome sind körperlich und real…die Blutwerte, die ein aktiviertes Immunsystem anzeigen sind real.“
„Seit einigen Jahren zeigen Gehirnforschung und die Neurowissenschaften immer deutlicher, dass man zu Unrecht zwischen körperlich und psychisch unterscheidet! Selbst sehr viele Ärzte sind, was das betrifft, nicht ausgebildet und kennen diese Zusammenhänge nicht.“
„Alles psychische, alle Gedanken und Gefühle finden körperlich im Gehirn über Botenstoffe, neuronale Impulse, Hormone, usw. statt…psychische Erkrankungen sind somit auch körperliche Erkrankungen. Weiterhin gibt es solche psychischen Erkrankungen, die sich auf neuronale Impulse im Gehirn beschränken, und solche die sich über Botenstoffe teilweise stark auf den übrigen Körper auswirken können. Hierzu könnte CFS gehören. So lassen sich die messbaren Abweichungen, die körperlichen Symptome und das aktivierte Immunsystem erklären.“
„Gut“, meine ich, „aber ich habe doch psychisch keine Sorgen!? Kein Problem außer meine CFS-Erkrankung!? Das zeigt doch, dass es bei mir eben nicht so sein kann!!“
„Das glaube ich Ihnen,“ der Arzt lächelt mich authentisch freundlich an. „Es gibt noch ein Missverständnis, das die Psyche betrifft…“
„Die Psyche teilt sich auf in das ‚Bewusste‘ und das ‚Unbewusste‘. Nur einen sehr kleinen Teil unserer Psyche nehmen wir bewusst wahr, machen uns bewusst Sorgen, ärgern uns bewusst über die alltäglichen Probleme und Nöte…“
„Ein viel größerer Teil unserer Psyche liegt im Unbewussten. Das ist der Teil für den z.B. Sigmund Freud bekannt geworden ist. Das ist keine Zauberei und kein Aberglaube, sondern wissenschaftlich untersucht. Auch ein großer Teil unserer Sorgen kann ‚unbewusst‘ sein, d.h. wir merken davon bewusst rein gar nichts! Die Sorgen und Probleme scheinen einfach nicht da zu sein.“
„Die Psychodynamik geht nun unter anderem davon aus, dass diese unbewussten Sorgen und Probleme – vor allem auch Konflikte – über Botenstoffe, Impulse auf das Immunsystem, Hormone etc. in bestimmten Fällen Erkrankungen wie CFS auslösen können.
Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits fällt es mir schwer zu glauben, dass so eindeutige starke körperliche Symptome und Schmerzen tatsächlich ihren Ursprung in der Psyche haben können. Andererseits wirkt die Erklärung des Arztes irgendwo plausibel…dass das ganze wissenschaftlich untersucht wird, versucht er mir zu belegen, indem er mir eine Studie in die Hand drückt.
Er fragt mich nach meiner Vergangenheit, meiner Kindheit. Ich erzähle ausführlich davon. Zwar hatte ich hier einige Probleme, aber ich hatte immer gedacht, das Ganze war nicht so wild und ich hätte damit abgeschlossen. „Das kann, muss aber nicht so sein,“ meinte der Arzt.
„Die Sorgen können sich ins Unbewusste verlagert haben.“
„Was würde man denn da machen?“ frage ich ihn…
„Gibt es aus dieser Sicht denn Heilungsmöglichkeiten oder so?“
„Am besten zu empfehlen wäre eine psychoanalytische Therapie“, erwidert er,
„Außerdem gibt es neuro-aktive Medikamente, die helfen können“, meint er. Insgesamt kann man sagen, dass an beiden Punkten angesetzt werden kann. Direkt an den Botenstoffen, Hormonen, etc. und an den unbewussten Sorgen, die der Auslöser sein können.
Zum Abschluss gibt er mir eine Liste von psychoanalytischen Therapeuten in meiner Umgebung. Ich entscheide mich dafür, das ganze auszuprobieren. Verlieren kann ich nichts..außer dass es mich wahrscheinlich Anstrengung kostet.
Nachdem ich einen Therapeuten gefunden habe, spreche ich in vielen Stunden über meine Kindheit, meine Eltern…über traurige und schwierige Momente in meinem Leben. Ich versuche dabei möglichst offen und nachdenklich meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen…mich fallen zu lassen…
In den ersten Monaten geht es mir körperlich nicht besser. Allerdings fühle ich mich nach den Stunden weniger angestrengt als vor den Stunden. Das erstaunt mich sehr…nach Jahren an Erfahrungen mit meinem CFS…wann ging es mir mal nach Anstrengungen nicht deutlich schlechter..
…nach 6 Monaten konnte ich wieder häufiger meine Wohnung verlassen…auch wenn es mir noch nicht viel besser ging…aber es fing an, mir auch nicht schlechter zu gehen…
…nach 9 Monaten ging es mir ein Stück besser, ich ging sporadisch wieder zur Uni und in Vorlesungen…konnte mich sogar wieder einigermaßen normal konzentrieren.
…nach 12 Monaten ging es mir so gut, dass ich mein Studium wieder richtig begann und fortsetzte.
…nach 15 Monaten führte ich wieder ein fast normales Leben. Es ging mir praktisch wie vor dem CFS. Nur zum Sport traute ich mich noch nicht…hatte dann doch noch Angst mich zu überlasten und die Genesung zu gefährden.
…nach 18 Monaten begann ich wieder leichten Sport. Und tatsächlich hatte ich auch hier kein CFS-Gefühl mehr dabei. Normaler Muskelkater, keine CFS-Erschöpfung mehr.
Ich kann hier nur über meinen individuellen Fall berichten. In meinem Fall bin ich heute fest davon überzeugt, dass im Laufe meiner Therapie unbewusste Emotionen frei entfalten konnten, die mich vorher unter Stress gesetzt haben, den ich nicht wahrgenommen und somit auch nicht als mögliche Ursache identifizieren konnte.
Ich wurde auch oft gefragt, während ich krank war, ob ich mich traurig oder gestresst fühle. Diese Fragen konnte ich immer völlig überzeugt mit „nein“ beantworten. Das war das tückische an meiner Erkrankung und ich bin tief dankbar dafür, dass ich die Therapie über viele Monate ohne Garantie und Anzeichen, dass sie mir hilft, weitergeführt habe.
Ich führe das darauf zurück, dass mich die Themen aus meiner Kindheit, über die wir gesprochen haben, einfach so interessiert haben, ohne dass ich immer daran denken musste, ob sie mein CFS/ ME heilen kann.
Irgendwann nach Monaten habe ich im Rahmen der Therapie starke Gefühle gespürt, die sich gelöst haben, nachdem ich immer wieder über die alten Zeiten gesprochen hatte und ihre Verbindung zu heutigen tagesaktuellen Erlebnissen.
Es ging um Trauer und Wut bzgl. selbst sehr belasteter Bezugspersonen, die ich deswegen in meiner Kindheit nicht nach außen getragen habe. Andere Themen wie innere Einsamkeit etc. waren damit auch wiederum eng verknüpft.